Unsere Wut braucht ihre trans*Fläche! Eine Solidaritätserklärung

Am 8.März besetzte eine autonome Struktur die Steinstraße 7 in Essen. Das besondere dabei war, dass der Zusammenschluss rein aus trans* Personen bestand. Weitere Infos: https://transflaeche.blackblogs.org/

>>Inhaltlicher Hinweis: Polizeigewalt

Leider wurde die Besetzung noch am gleichen Tag geräumt. Dabei kam es auch zu Polizeigewalt. Wer die Geschehnisse nachverfolgen will, findet eine ausführliche Begleitung auf dem Twitter-Account der trans*Fläche. Wir möchten uns an dieser Stelle zuerst mit der Besetzung solidarisch erklären.

>>Inhaltlicher Hinweis Ende: Polizeigewalt

Doch was abseits dieser Besetzung eine große Aufmerksamkeit innerhalb der linksradikalen Szene erregte, war das gleichzeitig veröffentlichte Zine der Aktivist_innen. „Gegen diesen Feminimus“ diente als theoretische Untermauerung der Besetzung. Vor allem auf Twitter entbrannte ein Diskurs über dieses Zine. In diesem Zusammenhang möchten wir ein paar Punkte herausstellen, weil sie uns besonders wichtig erscheinen.

>> Inhaltlicher Hinweis: Gebären, Misgendern

Zuerst scheinen einige nicht verstanden zu haben, dass das Zine Ausdruck tiefster Wut und versteckter Ängste ist, die sonst kaum Gehör finden. Das wurde mehrfach im Zine direkt benannt. Die trans Menschen unter uns kennen viele der im Zine beschrieben Situationen und Gefühle gut. Doch trans Personen (und auch andere queere Menschen wie zum Beispiel inter* Menschen) haben kaum Räume um ihre Wut, Trauer und Angst auszudrücken. Dazu gehören Plena, in denen trans*spezifische Einwände übergangen werden. Dazu gehören Demonstrationen, bei denen trans Themen ignoriert oder als „Frauenthemen“ falschgedeutet werden. Dazu gehören Theoriearbeiten, in denen trans Menschen fälschlicher weiße Männern oder Frauen zugerechnet werden. Dazu gehören Musiktexte, laut denen das Gebären ein rein weibliches Erleben sei.

>> Inhaltlicher Hinweis Ende: Gebären, Misgendern

Daher brauchen wir trans*Fläche! Wir brauchen Orte, in denen wir uns äußern können, ohne wie in diesem Fall sofort als Verräter_innen an feministischen Kämpfen verschrien zu werden.

All dies sehen und spüren wir und haben gleichzeitig selbst Kritik an manchen Texten im Zine.

Im Zine werden mehrfach Kanäle genannt, über die gerne Kritik formuliert werden kann. Wer ein Interesse hat, dass die eigene Kritik ankommt, würde diese angebotenen Kanäle nutzen und direkten Kontakt suchen.

Ein Shitstorm auf SocialMedia ist kein Medium für Kritik. Das Zerreissen einer Textsammlung, wegen einzelnen Passagen, ist keine Kritik. Kritik darf öffentlich sein und muss bei Fehlverhalten auch laut sein. Jedoch ist das hier nicht passiert. Denn die „Kritik“ wurde nicht solidarisch geäußert und oft nichtmal an die Autor_innen gerichtet. Stattdessen wurden die eigenen Follower_innen addressiert, mit Formulierungen wie „Habt ihr das gelesen? Was die sich einfallen lassen!“.

Uns scheint, als hatten Menschen ein größeres Interesse daran, einen transfeindlichen Shitstorm zu befeuern.

Das Zine wiederholt die Phrase mehrfach in unterschiedlicher Formulierung, dennoch möchten wir sie hier erneut anbringen, weil sie in diesem Diskurs zentral ist: „Es ist nicht so, dass ich die Unterdrückung von Frauen in der Gesellschaft nicht sehe, aber erstens: Sie sind nicht die Einzigen. Zweitens: Ich bin auch eine Frau (…)“ (S. 40, aus Ohn(e)macht – Sprachlosigkeiten über Körpersprache)

Wir sollten anfangen zu unterscheiden, dass unserer Wut Luft zu machen nicht mit einem theoriegebundnen Leitfaden gleichzusetzen ist. Doch auch unsere Wut braucht trans*Fläche, denn sie ist berechtigt bei all dem, was das Patriarchat und je nach Person weitere Unterdrückungsformen mit uns tun.

Wir als queere und negativ vom Patriarchat Betroffene lassen uns nicht vom Feminismus abspalten – es ist auch unser Feminismus. Dieser Feminismus funktioniert jedoch nur intersektional.

Dabei werden auch sicher in Zukunft immer wieder Punkte aufkommen, die aus dyadisch-cis Perspektive nicht logisch erscheinen. Daher ist es wichtig, Perspektiven kennenzulernen, die nicht die eigenen sind. Wir sollten alle auch trans* und inter* Perspektiven in unserem Feminismus zu Wort kommen lassen und aktiv in unserer Arbeit berücksichtigen. Wir empfehlen trans Autor_innen zu lesen, trans Musiker_innen und trans Podcaster_innen zu hören oder Videoproduktionen von trans Kollektiven anzuschauen!

Wir brauchen eine trans*Fläche. Aber ebenso brauchen wir Fläche für alle, die von anderen Diskriminierungsformen betroffen sind. Denn wie die trans*Fläche ist auch die QINT*essenz zu weiß und auf andere Weisen privilegiert. Der aktuelle Diskurs zeigt doch absolut deutlich, dass progressive Kämpfe nicht auf einer Achse geführt werden können, sondern intersektional sein müssen! Hetero inter* Personen haben eigene Bedürfnisse, schwarze Frauen haben ihren eigenen Blickwinkel, be_hinderte agender Personen ihre individuellen Ansichten.

Anstatt sich sofort zu distanzieren, sollten alle Anheizer_innen des Shitstorms lieber mal erkennen, wie Patriarchat über den eigenen Tellerrand hinaus aussieht. Es gibt so wenig Empathie für queeren Schmerz. Das wurde hier wieder überdeutlich, so wie es jährlich um den 8. März deutlich wird. 8.März-Aktionen müssen so gestaltet werden, dass alle vom Patriarchat unterdrückten Menschen (cis Frauen, genauso wie trans, inter*, nicht-binäre und agender Personen) ganz selbstverständlich Teil von 8. März Aktionen sind sein können!

Wer QINTAs hier ausschließt, stellt sich in den Dienst einer patriarchalen, reaktionären und kapitalistischen Logik und macht sich zur_m Handlanger_in des Cistems. Das ist nichts weiter, als reaktionäre Denkmuster zu reproduzieren und sie in die linksradikale Szene reinzutragen.

Feuer und Flamme dem Patriarchat!

Glossar

autonom (im politischen Sinne): unabhängig von (gängigen) Kategorien, dem eigenen Selbstverständnis unterworfen, auch vergleichbar mit: selbstbestimmt, selbstorganisiert, keine Hierarchien

Cistem: Eine Wortschöpfung aus System und cis. Er beschreibt das cis-normative Denken der Gesellschaft. In dem cis Menschen als „normal“ angesehen werden und QINTAs diskriminiert werden.

inter/dyadisch: Dyadische Menschen lassen sich auf Grundlage von staatlich-medizinischen Richtlinien ohne Weiteres einem „männlichen“ oder „weiblichen“ Geschlecht zurodnen. Manchmal wird statt dyadisch auch endogeschlechtlich gesagt. Alle, die nicht in diese strenge Unterteilung passen, werden als inter* bezeichnet.

intersektional: Mehre Dimensionen (zum Beispiel von Diskriminierung) betrachtend. Der Ansatz wurde von Kimberlé Crenshaw entwickelt um die Diskiminierungserfahrungen von Schwarzen Frauen zu beschreiben, die sich sowohl von weißen Frauen als auch nicht-weiblichen Personen of Colour unterscheiden.

Patriarchat: System, das Menschen aufgrund ihres Geschlechts Fähigkeiten und Eigenschaften zu-/abspricht und sie wertet. An höchster Stelle ist dyadisch cis Männlichkeit verortet.

Privilegien: Vorzüge, die Menschen erfahren, weil sie zu einer Gruppe gehören, die positiv von Diskriminierungsstrukturen betroffen sind.

trans(*)/cis: Unter den Begriff trans können sich alle Personen fassen, deren Geschlecht nicht mit dem übereinstimmt, was ihnen bei Geburt zugewiesen wurde, also z.B. damals in die Geburtsurkunde eingetragen wurde. Cis bezeichnet alle, deren Geschlecht mit diesem ursprünglich zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt.

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