Queer-Feminismus in der Krise

Nach einer längeren Zeit melden wir uns auch mal wieder. Seitdem ist sehr viel passiert. Die Coronakrise hat unser alltägliches Leben massiv verändert. Doch am meisten unter der Krise leiden (wie so oft im Kapitalismus) vor allem marginalisierte Gruppen. Diese Thema wollen wir uns unteranderem im folgenden Text widmen.

Triggerwarnung: patriarchale Gewalt, Femizide

Kinderbetreuung, überwiegende Teile der Haushaltsarbeiten (auch Reproduktionsarbeit genannt), häusliche Gewalt… die Liste mit den Belastungen, unter denen FLINTA-Personen im Patriarchat sowieso schon leiden, ließe sich beleibig fortführen. Doch gerade jetzt in Krisenzeiten verstärken sich die Probleme dramatisch. Familien sitzen den ganzen Tag (teils auf viel zu engem Raum) aufeinander, wirtschaftliche Unsicherheiten im kapitalistischen System sind für Arbeiter*innen existenzbedrohend und werden durch die Krise verschärft. Gleichzeitig werden Konzerne wie die Lufthansa, die sich nicht einmal ansatzweise um ihre ökologisch Verantwortung kümmern, und damit in der ebenso wütenden Klimakrise die Situation bewusst verschärfen durch Unsummen künstlich am Leben gehalten.
Milliardenhilfen für Großkonzerne auf der einen und Ausbeutung auf der anderen Seite. Und mitten drin FLINTA-Personen, die wie viele andere Marginalisierte stark unter der Krise leiden.
Doch was hören wir aus linken Kreisen dazu? Relativ wenig. Die linke Szene schien besonders zu Beginn sowieso ein bisschen überfragt zu sein, Antworten auf die Pandemie und deren gesellschaftlichen Auswirkungen zu finden, die abseits von Formaten für die Ausrichtung von Demonstrationen mit Hygienekonzepten liegen. Grund genug also sich mal den “Queer-Feminismus in der Krise” anzuschauen und Perspektiven aufzuzeigen.

Femizide sind überall – auch in deiner Stadt

Durchschnittlich stirbt jeden dritten Tag eine als weiblich kategorisierte Person durch häusliche oder partnerschaftliche Gewalt, dies ist nun leider absolut keine neue Info. Wir schreiben “weiblich kategorisiert”, weil es nicht einmal Daten gibt, die vor allem trans, inter und nicht-binäre Menschen richtig erfassen. Doch durch die Coronakrise sind die Zahlen von häuslicher Gewalt und ermordeten als weiblich kategorisierten Menschen erschreckend gestiegen. Gleichzeitig wird es für Beratungs- und Hilfsangebote schwieriger zu agieren, weil sie ihre Tätigkeit in Präsenz herunterfahren müssen. Im ganz konkreten Beispiel wird annonyme Beratung durch die Notwendigkeit von Kontaktverfolung erschwert. Es zeigt sich hier also mal wieder, dass sich gewaltsame patriarchale Strukturen durch alle Klassen der Gesellschaft ziehen und eine tagtägliche Bedrohung für FLINTA-Personen sind.

FLINTA Personen sind strukturell benachteiligt

Viele würden jetzt sicher sowas sagen wie: “Die Menschen sitzen viel aufeinander, die Nerven liegen blank, etc.”, doch dies greift viel zu kurz. Es ist letztendlich eine Rechtfertigung der Gewalt der Täter und nimmt sie ein Stückweit in Schutz.
Denn das Problem liegt viel tiefer, es ist begründet auf der strukturellen Benachteilung von FLINTA-Menschen. Sie sind diejenigen, die überproportional prekär beschäftigt sind. Auf Frauen und als solchen gesehenen Menschen lastet der soziale Druck Rollenbilder zu erfüllen und somit deutlich mehr Reproduktionsarbeit leisten. FLINTA mit Gewalterfahrungen sind (in vielen Fällen) außerdem wirtschaftlich und sozial abhänig von den Tätern. Diese strukturelle Gefahr für FLINTA Menschen herrscht auch unabhäning von der Pandemiezeit, doch jetzt wird sie besonders akut. Ein wirklich Schutz von FLINTA Menschen kann nur mit einer grundsätzlichen Infragstellung und Überwindung von gesellschaftlichen Herrschaftsstrukturen geschehen. Auch wenn es total wichtig ist, mit Schutzräumen und transformativer Gerechtigkeit im Hier und Jetzt Mackern und dem Patriarchat entgegenzutreten, müssen wir Konzepte für eine solidarische Gesellschaft jenseits Kapitalismus und Patriarchat entwickeln und leben.

Die Krise zeigt das Gesicht von Kapitalismus und Herrschaft

Doch die Krise zeigt noch viele weitere Probleme der kapitalistischen Gesellschaft auf. Dass das Problem grundsätzlich ein proftiorientiertes Wirtschaften ist, müssen wir sicher nicht noch einmal darlegen (schon die Preissteigerung von Schutzmasken im Frühjahr spricht hier Bände). Leider verstärken sich viele Diskriminerungsformen in der Krise, egal ob die Krise mal wieder von den Menschen ohne Kapital getragen wird, während Millonär*innen weiter Profite einstreichen, oder der Rassismus und Nationalismus welche noch stärker zum Vorschein treten. Gerade anti-asiatischer Rassismus wurde massiv mehr. Was wäre wohl passiert wenn der Virus auf einer Schweinefarm in Niedersachsen ausgebrochen wäre, hätten die ganzen Rechten dann Menschen aus Niedersachsen angegriffen? “Natürlich” nicht.
Hier zeigt sich klar und deutlich die Funktionsweise des Kapitalismus und des Rassismus. Den Marginalisierten kann es immer beschissener gehen, Faschos werden nicht als Problem gesehen, die Arbeiter*innen sollen für die Krise zahlen und die Reichen verdienen dran.

FLINTA-Menschen schützen – den Kapitalismus überwinden

Die Antworten auf die Probleme, mit den FLINTA-Personen in der Krise zu kämpfen haben, sind vielschichtig und lassen sich nicht so einfach runterbrechen. Aber genau dieser Antworten bedarf es, um Menschen in Not zu helfen.
Angefangen mit Stadtteilarbeit, Hilfe bei der Kinderbetreuung und Hausarbeit, über Organisierung von queerfeministischen Gruppen, bis hin zum Aufzeigen von Perspektiven jenseits von Kapitlismus und Herrschaft!

Das Patriarchat bekämpfen – den Kapitalismus und die Herrschaft überwinden

Und an dieser Stelle noch queerfeministische solidarische Grüße an die Gefährt*innen der Liebig, welche leider vor ein paar Wochen geräumt wurden. Auch wenn der Staat in eure Räumen eindrang und euch für Kapitalintressen rauswarf, unsere gemeinsamer Kampf für eine solidarische Welt ohne Macker, Sexisten und Kapitalismus geht weiter.
STAY REBEL! Stay lound, dirty and queer-feminist!

Zum Weiterlesen

Zur Covid-Pandemie im Allgemeinen:
fda-ifa.org/gai-dao-sonderausgabe-no-10-pandemischer-ausnahmezustand
www.youtube.com/watch?v=W-ipSTYlna0

Content Note: sehr explizite Beschreibung von Femiziden
www.youtube.com/watch?v=YARuhUwD9xY
www.tagesschau.de/inland/beziehungsgewalt-bka-statistik-101.html
taz.de/Gleichstellungsbeauftragte-ueber-Corona/!5676638
www.deutschlandfunk.de/frauenmorde-in-europa-wenn-das-geschlecht-gefahr-bedeutet.922.de.html?dram:article_id=467196

Glossar

Du hast einen Begriff aus dem queeren Kontext nicht verstanden? Das queer-lexikon.net hilft sicher weiter!
Femizid – Mord an einer FLINTA Person
Reproduktionsarbeit – sämtliche Arbeit, die nicht einer bezahlten Lohnarbeit gleichkommt und der Verpflegung des eigenen Haushalts dient, z.B. kochen, putzen, Pflege von Alten und Kranken, Erziehung und Betreuung von Kindern
FLINTA Personen – Frauen, Lesben, inter, nicht-binäre, trans und agender Personen
Marginalisierte – Menschen, die von Machtgefällen und Diskriminierung betroffen sind, z.B. People of Colour, FLINTA Personen, Sozialhilfeempänger*innen und viele weitere
transformative Gerechtigkeit – Ansatz, der von People of Colour in den USA entwicklet wurde, um Wege zu finden um mit Gewalt innerhalb von Communities ohne Bull*innen, Knästen und den Staat umzugehen

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